Die Vergabe von Rohbauarbeiten als Einzelgewerk ist kein Verbraucher- bauvertrag im Sinne des § 650i BGB

OLG München, Urteil vom 09.06.2022 – 20 U 8299/21

1. Kündigungen von Bauverträgen über die Erstellung von Rohbauten für den Neubau eines Reihenhauses können gem. § 650f Abs. 5 BGB gekündigt werden, wenn der Auftraggeber die Bauhandwerkersicherung nicht fristgerecht leistet.

2. Insbesondere steht dem nicht § 650f Abs.6 S. 1 Nr. 2 BGB entgegen. Denn die Vergabe von Rohbauarbeiten als Einzelgewerk stellen keinen Verbraucherbauvertrag im Sinne des § 650i BGB dar.

3. Der Wortlaut „Bau eines neuen Gebäudes“ ist eng auszulegen. Eine weite Auslegung gebietet insbesondere auch nicht etwa ein dadurch bezweckter höherer Verbraucherschutz. 

Der Fall:

Die Parteien schlossen am 06. und 10.02.2020 einen Bauvertrag über Rohbauarbeiten anlässlich des Neubaus eines Reihenhauses. Sodann kam es zwischen den Parteien zum Streit über die bisherige Bauausführung, die Statik und das Vorfinden von Grundwasser in der Baugrube. Der Auftragnehmer forderte den Bauherrn daraufhin zur Übergabe einer Bauhandwerkersicherung gem. § 650 f BGB auf. Der Bauherr war lediglich bereit, eine befristete Bankbürgschaft zu erbringen.  

Dem Auftragnehmer genügte dies jedoch nicht. Der Auftraggeber lehnte die Stellung einer unbefristeten Sicherheit ab, woraufhin der Auftragnehmer mit Schreiben vom 15.05.2020 den Bauvertrag gem. § 650f Abs. 5 BGB kündigte.

Der Bauherr hält diese Kündigung für unwirksam. Er stützt sich auf § 650f Abs. 6 S. 1 Nr. 2 BGB, wonach bei Verbraucherbauverträgen im Sinne des § 650i BGB die Pflicht zur Leistung der Bauhandwerkersicherung gem. § 650f BGB keine Anwendung findet. Indes hält der Auftragnehmer an seiner Kündigung fest. Er beruft sich darauf, dass kein Verbraucherbauvertrag vorliege.

Die Entscheidung:

Das OLG München entspricht der Auffassung des Auftragnehmers und hält dessen Kündigung gem. § 650f Abs. 5 BGB für wirksam. Die Vergabe allein der Rohbauarbeiten als Einzelgewerk begründe noch keinen Verbraucherbauvertrag. Die Frage nach der Verbrauchereigenschaft der Klägerin spiele hier im Übrigen keine Rolle. Begriffliche Voraussetzung ist hierfür der „Bau eines neuen Gebäudes“ bzw. „Erhebliche Umbaumaßnahmen“. Das OLG München legt den Begriff eng aus und kommt zu dem Ergebnis, dass eine Einzelgewerksvergabe kein Verbraucherbauvertrag sein kann, auch wenn alle Gewerke gemeinsam der Errichtung eines neuen Gebäudes dienen.

Diese enge Auslegung gebiete schon die richtlinienkonforme Auslegung im Hinblick auf Art. 3 Abs. 3 f Richtlinie 2011/83/EU.

Somit war das Sicherungsbegehren des Auftragnehmers rechtmäßig. Eine befristete Bürgschaft wird dem Sicherungsbedürfnis des Auftragnehmers nicht gerecht, somit war die Kündigung des Auftragnehmers rechtmäßig.

Praxishinweis:

Trotz der klaren Positionierung durch das OLG München bleibt die Frage, wann ein Verbraucherbauvertrag vorliegt und wie eng der Wortlaut des § 650i BGB auszulegen ist, umstritten, auch wenn sich eine Tendenz abzuzeichnen scheint, wonach die Einzelgewerksvergabe nicht als Verbraucherbauvertrag auszulegen ist (so auch KG, Urteil vom 16.11.2021 – 21 U 41/21; dagegen: OLG Hamm, Urteil vom 24.04.2021 – 24 U 198/20 und OLG Zweibrücken, Urteil vom 29.03.2022 – 5 U 52/21). Eine Stellungnahme durch den BGH steht noch aus, das OLG Zweibrücken hatte die Revision zugelassen, die auch eingelegt wurde und beim BGH mit dem Az. VII ZR 94/22 geführt wird.  

Die Verfasserin jedenfalls schließt sich der Begründung des OLG München an. Die Formulierung der Vorschrift des § 650 i Abs. 1 BGB wurde im Gesetzgebungsprozess nicht leichtfertig gewählt, sondern erfolgte nach rechtfehlerfreier Abwägung auf Basis der EU Verbraucherrechtrichtlinie vom 25.10.2011 Art. 3 Abs. 3 lit. f und Art. 6 Abs. 1 lit. a; vgl. BT-Drucksache 18/8486, S. 61.

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Ulrike Vestner

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