Gestaltung und Umsetzung von Bauverträgen in der Pandemie

Ausgangslage und Problembeschreibung

Erkrankungen an Covid-19 machen auch vor Baustellen nicht halt. Mit einer Erkrankung verbunden sind Quarantäneanordnungen für Kontaktpersonen, immer wieder stecken sich ganze Bautrupps an und fallen über Wochen hinweg aus. Hinzu kommen Probleme bei der Materialbeschaffung und Verzögerungen der Leistung, die oft nicht mehr auszugleichen sind. Das Ergebnis liegt auf der Hand: das Bauvorhaben wird teurer. Einerseits steigen Materialpreise erheblich, andererseits verzögert sich die Bauzeit; bei Großbauprojekten schlägt sich die Kostensteigerung regelmäßig in jeder einzelnen Stunde der Verzögerung nieder.

Die Interessen von Auftraggeber und Auftragnehmer sind dabei oft gegenläufig. Während der Auftragnehmer auf eine Verlängerung der vertraglich fixierten Bauzeit hofft und sich dazu um eine ggf. zu erzielende Mehrvergütung bzw. eine Umlegung gestiegener Materialkosten sorgt, möchte der Auftraggeber einen Ersatz der ihm entstandenen Verzugsschäden erreichen und im Idealfall eine Sicherheit, dass der Auftragnehmer Ausfälle ganzer Bautrupps verzögerungsfrei ausgleichen kann. Auch fragt sich der Auftraggeber, ob er sich möglicherweise gegen Schäden absichern kann, sei es durch Sicherheitsleistung von Seiten seines Auftragnehmers, sei es in Form einer Versicherung. Beide Parteien mögen sich zudem zu irgendeinem Zeitpunkt die Frage stellen, ob sie das Vertragsverhältnis kündigen können.

Die gerichtliche Bewertung verändert sich

Als im Frühjahr 2020 das Coronavirus wie eine göttliche Plage über die Firmen hereinbrach, half schnell das Argument der „höheren Gewalt“, was auch von verschiedenen Gerichten anerkannt wurde. Im Frühjahr 2021 stehen die Dinge jedoch anders: Die Menschheit hat sich an die Pandemie „gewöhnt“, die oben erwähnten Schwierigkeiten sind längst nicht mehr überraschend. Das Gegenteil ist der Fall, es hat sich mittlerweile gerade auf Baustellen die Auffassung durchgesetzt, dass sich Unternehmer im Zweifel auf die Pandemiesituation einstellen müssen und Vorkehrungen zu treffen haben, um Zusatzkosten zu vermeiden, bzw. Verzögerungen im eigenen Betrieb oder mit Subunternehmern abzufedern. Gerade bei Neuverträgen, die nach Auftreten des Virus geschlossen werden, wird das Berufen auf höhere Gewalt wenigen Einzelfällen vorbehalten sein. In der Vertragsgestaltungspraxis stellt sich daher die Aufgabe, eine ausgewogene Lösung für beide Vertragsparteien zu finden.

Dabei gilt es zunächst, die für die Parteien wesentlichen Positionen herauszuarbeiten. So sind die Risikosphären zu definieren, idealerweise in Form einer Aufstellung der von der jeweiligen Partei zu erbringenden Mitwirkungsleistung und der Definition von Schnittstellen. Jede Partei muss ihr Risiko wirtschaftlich bewerten und ggf. einpreisen. Eine große Rolle spielen auch der Umfang des Auftrags und die Aufstellung des Unternehmers: Handelt es sich um eine große und mitarbeiterstarke Firma, ist es dieser möglicherweise zumutbar, stets eine Ersatzkolonne zur Verfügung zu halten. Von einem kleineren Handwerksbetrieb kann der Besteller dies schwerlich erwarten. Der Auftragnehmer wird sich keiner überbordenden Preisgefahr aussetzen wollen, so ist es auch im Fall einer Pauschalbeauftragung möglich, das Preisrisiko (jedenfalls für bestimmte Bereiche wie Stahl- oder Holzeinkauf) nur bis zu einer bestimmten Grenze zu übernehmen.

Die Vertragsgestaltung gewinnt weiter an Relevanz

Taugliche Sicherheiten sind zu verhandeln und dabei die gesetzlichen Möglichkeiten zu nutzen. Denkbar sind neben den typischen Sicherungsmitteln wie Vertragserfüllungs- und Zahlungsbürgschaften beispielsweise auch die Vereinbarung von Vorauszahlungen auf Material und eine großzügige Abschlagszahlungslösung. Möglicherweise ist der Besteller bereit, Abschläge auch auf bereits hergestellte, aber noch nicht verbaute Stoffe oder Bauteile zu zahlen, soweit ihm dafür im Gegenzug das Eigentum an diesen Stoffen oder Bauteilen eingeräumt wird. Diese Grundsätze gelten im Übrigen nicht nur bei Bauverträgen. Auch bei Planerverträgen ist eine Anpassung an die wohl noch andauernde Pandemielage durchaus möglich.

Soweit es im Wege der Bauausführung tatsächlich zu Streitigkeiten wegen Behinderung bzw. Verzug und Mehrkosten kommt, ist eine gemeinsame interessensgerechte Lösung am „runden Tisch“ einer gerichtlichen Auseinandersetzung stets vorzuziehen, was jedoch eine entsprechende Bereitschaft beider Parteien voraussetzt. So ist es oft schon während der Bauausführung sinnvoll, auftretende Schwierigkeiten einer frühzeitig geschlossenen Vereinbarung zuzuführen. Damit diese auch rechtssicher ist, bedarf es juristischer Begleitung. Das Problem ist zu neu, als dass es dazu eine einheitliche Rechtsprechung gäbe, was im Prozess mit einem besonderen Risiko verbunden sein kann. Ein pauschales Berufen auf „höhere Gewalt“ wird jedoch gerade bei Streitigkeiten aus Neuverträgen sicherlich nicht zielführend sein. Geboten sind vielmehr eine sorgfältige Betrachtung und Darlegung des jeweiligen Einzelfalls.

 

Ulrike Vestner

Rechtsanwältin
Fachanwältin für Bau- und Architektenrecht 
 

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