Die unterlassene
oder verspätete
Zielvereinbarung

Variable Vergütungsbestandteile sind weiterhin sehr beliebt, nicht nur bei Führungskräften, sondern auch bei „einfachen“ Arbeitnehmern. Mit dem Angebot derartiger Vergütungsleistungen wollen Arbeitgeber besondere Anreize setzen, um für eine zusätzliche Motivation zu sorgen. In der Praxis werden die zumeist jährlich zu vereinbarenden Ziele jedoch nicht selten gar nicht oder erst während der bereits laufenden Zielperiode geschlossen.

 

1. Abgrenzung zur Zielvorgabe

Der Unterschied zwischen einer Zielvereinbarung und Zielvorgaben ist in den Auswirkungen erheblich. Eine Zielvereinbarung meint, dass die Parteien des Arbeitsvertrages die Ziele, die zum Erhalt einer variablen Vergütung notwendig sind, gemeinsam vereinbaren müssen, so das BAG. Bei Zielvorgaben legt der Arbeitgeber die Ziele hingegen einseitig fest. Sofern die Begriffe nicht ausdrücklich im Arbeitsvertrag festgelegt werden, ergibt sich der Vertragsinhalt durch Auslegung nach §§ 133, 157 BGB.

 

2. Rechtsfolge bei unterbliebener Zielvereinbarung

Nach der Rechtsprechung des BAG, Urteil vom 17.12.2020, Az. 8 AZR 149/20, hat der Arbeitnehmer bei unterbliebener Zielvereinbarung grundsätzlich einen Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung gemäß §§ 280 Absatz 3, 283 BGB. Denn mit Nicht-Abschluss einer Zielvereinbarung verletzt der Arbeitgeber eine arbeitsvertragliche Pflicht und nach Ablauf der jeweiligen Zielperiode ist die Vereinbarung von Zielen unmöglich i. S. d. § 275 Absatz 1 BGB. Das BAG begründet dies u. a. damit, dass eine nach Ablauf der Zielperiode abgeschlossene Zielvereinbarung ihre Anreizfunktion nicht mehr erfüllen könne, da der Arbeitnehmer vor Beginn der Zielperiode wissen müsse, welche Ziele es zu erreichen gilt. Im Übrigen ist zu beachten, dass eine nachträgliche Zielvereinbarung dem eigentlichen Zwecke einer solchen Vereinbarung auch zuwiderläuft.

Hierbei wird das Verschulden des Arbeitgebers an der unterbliebenen Zielvereinbarung vermutet, vgl. § 280 Absatz 1 BGB. Der Arbeitgeber müsste in einem ersten Schritt darlegen, dass er für die jeweilige Zielperiode dem Arbeitnehmer Vorschläge für eine Zielvereinbarung unterbreitet hat bzw. zumindest Verhandlungen einleiten wollte. Wann eine vollständige Exkulpation des Arbeitgebers möglich ist, sagt die Rechtsprechung nicht. Eine solche ist aber auch nur in Ausnahmefällen denkbar, bspw. wenn sich der Arbeitnehmer einer Vereinbarung entzieht, indem er sich z. B. Verhandlungen verweigert.

 

3. Rechtsfolge bei verspäteter Zielvereinbarung

Bei der verspäteten Zielvereinbarung wird diskutiert, ob der verspätete Abschluss einer Zielvereinbarung zur Unmöglichkeit und somit zu einem Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers führen kann.

Das LAG Hessen (Urteil vom 30.4.2021 – Az. 14 Sa 606/19) hat zuletzt angedeutet, dass die Zielfestlegung (während der Dauer einer Zielperiode) unmöglich sein und eine Schadensersatzpflicht auslösen könnte, wenn eine Zielvereinbarung verspätet erfolgt (im konkreten Fall in der zweiten Hälfte des Geschäftsjahres). Das BAG hat zur Frage der verspäteten Zielvereinbarung noch nicht Stellung genommen. Die Frage wird sein, wie sinnvoll eine Zielvereinbarung, die während der Zielperiode abgeschlossen wird, noch sein kann. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Rechtsprechung zumindest bei Ablauf der Hälfte der Zielperiode Unmöglichkeit annimmt, ist jedenfalls hoch.

 

4. Höhe des Schadenersatzes

Das BAG wendet für die Berechnung der Höhe des Schadensersatzes § 252 S.2 BGB i. V. m. § § 287 ZPO an. Grundlage ist zunächst der arbeitsvertraglich zugesagte Bonus für eine 100 %ige Zielerreichung. Der Arbeitgeber muss besondere Umstände darlegen, nach denen der Arbeitnehmer vereinbarte Ziele nicht erreicht hätte, um den Anspruch zu mindern oder gar ganz auszuschließen. Ein solcher besonderer Umstand kann z. B. sein, dass der Arbeitnehmer auch in den Vorjahren seine Ziele klar verfehlt hatte.

Zudem ist auch ein Mitverschulden des Arbeitnehmers anspruchsmindernd zu berücksichtigen (§ 254 BGB). Dieses kann u. a. darin liegen, dass der Arbeitnehmer den Arbeitgeber nicht zumindest einmal zum Abschluss einer Zielvereinbarung aufgefordert hat (das BAG ging in diesem Fall jedoch nur von einer Minderung um 10 % aus). Dies gilt zumindest dann, wenn der Arbeitsvertrag nicht eindeutig die Initiativlast für das Führen von Zielvereinbarungsgesprächen dem Arbeitgeber auferlegt, was i. d. R. aber nicht der Fall ist.

 

Fazit:

Zielvereinbarung sind immer wieder Inhalt gerichtlicher Auseinandersetzungen. Da das Risiko für den Arbeitgeber, den zugesagten Bonus für eine 100%ige Zielerreichung zahlen zu müssen, wie geschildert groß ist, sollten Arbeitgeber darauf achten, dass Zielvereinbarungen rechtzeitig vor Beginn der Zielperiode vereinbart werden.

Ansprechpartner

Jacqueline Stadtelmann

Rechtsanwältin/Salary Partner
Wirtschaftsjuristin (Univ. Bayreuth)
Fachanwältin für Arbeitsrecht